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"Rundfunk-Sprecher"? Schon lange tot!

Rob Szymoniak

Ich war entsetzt! Neulich kam diese Meldung raus: „Zehn Berufe mit schlechten Aussichten und warum DJs und Rundfunksprecher auch dazugehören“ (mehr). Fake-News oder alternative Fakten? Fakt ist, den Rundfunksprecher wie man ihn sich aus alten Filmen oder so vorstellt, gibt es schon seit den 1980er Jahren nicht mehr. Und ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn ich davon erzähle, dass ich hauptberuflich als Radiomoderator arbeite, Viele dieses Bild vor Augen haben: ein einsamer Mensch hinter einer Glasscheibe im großen Raum mit grauem Filz an den Wänden und einem Mikrofonkopf mit der Form eines Teekannensiebes. Ein Klischeebild, solche Sprecher gibt es so eigentlich nur noch bei sehr wenigen Sendern und in der Tagesschau.

Inzwischen müssen ModeratorInnen im Radio echte Alleskönner sein — im Studio und davor. Wie sieht so ein Allrounder-Arbeitsleben im Alltag aus?

Mein alltäglicher Arbeitstag im Radio besteht nicht nur aus Moderationen im Studio, sondern auch aus eigener Redaktionsarbeit wie Recherche und texten, zudem allem Technischen im Studio wie das Zusammenfahren von Musik, Werbung, Produktionselementen usw., bis hin zum Überlegen und zum Teil eigenen Umsetzen von Social Media-Aktivitäten. Ein Job mit höchsten Konzentrationsansprüchen, ähnlich wie im Cockpit eines Flugzeugs, nur bin ich da wie ein Pilot ohne Co-Pilot. Diese One-Man-Show ist auch vergleichbar mit einer Autobahnfahrt, und zwar 5 Stunden am Stück (so lange dauert meine Radiosendung) mit 220 km/h durchgehend auf der linken Spur.

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Heutzutage muss ein Radiomensch mehrere Berufe und Funktionen in einem drauf haben, teilweise gleichzeitig:

Moderator & der beste Freund im Ohr

  • u.a. die Performance halbwegs gescheit hinbekommen: wie klingt meine Stimme, wie lässig schaffe ich es jeden Tag die Songs high-class „zu verkaufen“, wie erschaffe ich eine passende und nicht peinliche Überleitung zu einem Beitrag, Korrespondenten oder anderem Inhalt und wie nehme ich ein Thema ab etc.
  • Kino im Kopf erzeugen, dazu gehören die Fähigkeiten gut texten und pointiert denken zu können sowie Storytelling innerhalb bestimmter Zeitvorgaben (kurz, knapper, noch kürzer!) aus dem Ärmel zu schütteln
  • Wetterbericht und -vorhersagen nicht nur langweilig aus dem Videotext ablesen, sondern für die Zielgruppe entsprechend sinnvoll auf den Punkt bringen
  • Verkehrsnachrichten so umtexten, dass sie für Autofahrer verständlich und tatsächlich nutzbar werden und nicht, wie z.B. beim DLF und anderen öffentlich-rechtlichen Sendern, fürs Lesen geschrieben und lieblos vorgelesen werden, sodass beim Menschen am Steuer eher Verwirrung erzeugt wird (Schreiben fürs Hören)
  • abzulesende Texte klingen zu lassen, als ob sie eben nicht abgelesen, sondern so wie moderiert werden (vor allem bei Werbung-Moderationen!)
  • und spontan auf unvorhersehbare Ereignisse und/oder Katastrophen reagieren — natürlich professionell passend zum Format.

Redakteur & Texter

  • Sendungsvorbereitung und -nachbereitung
  • Themen finden, einplanen und formatgerecht aufbereiten
  • Überprüfen der aller Pflicht-Inhalte (was ist z.B. an Kunden verkauft)
  • die alltäglichen Major Promotions jeden Tag aufs Neue lebendig, frisch und anders klingen zu lassen 
  • inzwischen auch völlig als normal vorausgesetzt: spontan während der laufen Live-Sendung O-Töne suchen, finden, selbst aufnehmen, sendefertig schneiden, abspeichern und dann in Moderationen einbauen
  • inkl. weiterer kreativen Überraschungen, die natürlich alle selbst zu kreieren sind.
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Produzent, Techniker & Sendungsfahrer

  • eine komplette Show (i.d.R. 3-5 Stunden lang) im sogenannten Selbstfahrerstudio wuppen
  • das Mischpult, wie ein Top-DJ, mit seinen vielen Reglern (meistens 5-8 Regler, also mehr als auf einem DJ-Mischpult in der Disko) blind bedienen können — während man immer locker seine Moderationen performt
  • auf den „Flow“ achten, sodass der Sound des Senders mit seinen Elementen wie Musik, Stimme, Werbung usw. immer gleich gut bleibt 
  • dafür zu sorgen, dass immer was zu hören, vor allem das Richtige! Computerprogramme im Radio müssen besonders oft auf ihre Fehlerquellen geprüft werden
  • immer das richtige Timing überblicken.

Telefonist & E-Mail-Korrespondent

  • wenn die Studio-Hotline klingelt immer rangehen und immer eine Antwort oder Auskunft parat haben
  • E-Mails und WhatsApp, die im Studio ankommen, rasch beantworten und/oder an die richtigen Kollegen weiterleiten
  • Gewinnabwicklungen zeitnah fertig bekommen 
  • im Grunde Aufgaben wie in einem Kunden-Callcenter bewältigen — immer nice & friendly, in einer laufenden Radiosendung im Selbstfahrerstudio.

Social-Media-Manager & -Planer

  • immer auf den eigenen Kanälen aktiv sein
  • sämtliche Channels des Senders im Auge behalten, ergänzen und frisch halten
  • schnell auch mal Facebook Live aus dem Studio machen
  • Themen finden (Stars, Entertainment & Ernst des Lebens)
  • immer unique gold content liefern
  • telegen und fotogen sein
  • high-class top Videos und Fotos schießen
  • …alles nicht nur während der Sendung, sondern im Grunde 24h-täglich — quasi immer online sein.
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Das alles, und oft noch mehr, gehört zum Jobprofil eines modernen Radiomoderators — diszipliniert jeden Tag, immer mehrere Stunden im Studio gefesselt, immer freundlich und „gut drauf“, und am Ende trägst Du, für die Zeit Deiner On Air-Präsenz, im Grunde die volle Verantwortung für den Laden!